Der Prozess im Zusammenhang mit der wilden Demo im Sommer 2015 ist am vergangenen Donnerstag mit drei Freisprüchen und einer Verurteilung zu Ende gegangen. Einer der angeklagten Aktivisten wurde trotz widersprüchlicher Beweislage wegen versuchter Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Landfriedensbruch zu 90 Tagessätzen à 15€ verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte 100 Tagessätze gefordert. Wie den übrigen Angeklagten die ihnen in der Akte vorgeworfenen Tathandlungen zugeordnet wurden, konnte bis zum Ende des Prozesses nicht geklärt werden. So musste letztlich auch die Staatsanwaltschaft Freisprüche beantragen. Gegen das Urteil wird ein Rechtsmittel eingelegt.
Als letztes Wort der Angeklagten gab es folgende Erklärung:
Rassistische Polizeigewalt war Anlass und Thema der wilden Demonstration vom 30.06.2015. Mitch Henriquéz war im niederländischen Den Haag durch Misshandlungen der Polizei getötet worden.
In veröffentlichten Videos von diesem Vorfall wird deutlich, dass die Polizei bei der Festnahme unverhältnismäßig Gewalt anwendete, im Verlauf dieses Vorgangs wird Mitch Henriquez bewusstlos und liegt anschließend bewegungslos am Boden. Anstelle eines Rettungswagens fährt nach kurzer Zeit ein Polizeibus vor, in den der zu dem Zeitpunkt immer noch bewusstlose Mitch geschleift wird. Er verstirbt später im Krankenhaus. Dort wird der Tod durch Sauerstoffmangel festgestellt, sowie schwere Blutungen im Kopfbereich, an den Genitalien und ein Kehlkopfbruch dokumentiert.
Nur zwei der fünf beteiligten Polizisten werden letztendlich angeklagt. Einer von ihnen wurde von Kollegen schon vorher als Cowboy mit Testosteronproblem gehandelt. Die beiden erhalten für die Misshandlung mit Todesfolge sechs Monate auf Bewährung, können sich nach Absprache mit ihrem Vorgesetzten aber sicher sein, dass sie im Anschluss wieder ihren Dienst antreten können. Während der gesamten Verhandlung wurden die Namen der angeklagten Polizisten nicht preisgegeben, aus Sicherheitsgründen.
In diesem Prozess wurde dieses Thema von allen vorgeladenen Zeug_innen der Polizei umschifft, andere Zeug_innen konnten sich jedoch noch gut an den Grund der Demo erinnern.
Polizeigewalt ist gesellschaftlich ein Tabuthema, sie wird totgeschwiegen oder negiert:So sagte Olaf Scholz nach dem G20-Gipfel in Hamburg: „Polizeigewalt hat es nicht gegeben!“ Eine glatte Lüge: 138 Ermittlungsverfahren gegen Polizist_innen, meist wegen Körperverletzung wurden eingeleitet. Die Dunkelziffer ist mit Sicherheit um ein Vielfaches höher. Bis heute gibt es keine einzige Anklage. Seltsam eigentlich.
Menschen, die Polizeigewalt thematisieren werden häufig scharf angegriffen – ob im öffentlichen Diskurs oder wie im hier verhandelten Fall auf offener Straße. Und es gibt sie doch: Polizeigewalt und auch rassistische Polizeigewalt. Nicht nur in den USA. Was ist mit Oury Jalloh? Was ist vor wenigen Tagen in Fulda passiert? Ein Polizist schießt zwölf Mal auf einen Unbewaffneten. Der junge Mann aus Afghanistan stirbt, von vier Kugeln getroffen. Wie so oft hüllt sich die Polizei auch hier in Schweigen. Gedeckt wird sie dabei von der Politik und der Justiz.
Korpsgeist und politische Mauern verhindern beinahe immer Aufklärung und Gerechtigkeit für die Opfer dieser Gewalt. Ganz unabhängig von einer Frage nach Gewaltmonopol stellt sich, ob in dem Beispiel aus Fulda oder auch in dem hier verhandelten Fall, die Frage nach der Legitimität und Verhältnismäßigkeit von Gewalt:
Menschen hängen ein Banner auf, verteilen Handzettel. Es soll durch die Polizei eine „offensive Ansprache“ folgen. Angeblich, um einen Versammlungsleiter zu bestimmen. Warum das damit endet, dass Menschen, die sich entfernen wollen mit „einfacher körperlicher Gewalt“ – scheinbar vollkommen legitim – zu Boden gebracht werden, passt eigentlich nicht so richtig in ein liberales Wertesystem, sondern ist schlicht Machtmissbrauch.
Es entlarvt aber auch ganz schön das Wertesystem nach dem Polizist_innen vorgehen: Alles, was eine vermeintliche Ordnung stört, was nicht schon der Kontrolle von Staat und Polizei unterliegt, was sich wild, frei und selbstbestimmt Gehör verschaffen will, wird als Bedrohung empfunden, angegriffen und kriminalisiert. Gar nicht mehr so liberal.
Die Polizei wird durch nichts kontrolliert. Kennzeichnungspflicht ist abgeschafft. Fragt man Polizist_innen in Aktion nach den Gründen für ihr Handeln wird man weggeschickt, geschubst oder gleich noch selber mitgenommen. Kritik ist völlig undenkbar. Polizist_innen haben das Gefühl, sie könnten sich alles erlauben und müssten sich nicht dafür rechtfertigen, was sie tun.
Aber für uns macht keine Uniform der Welt unfehlbar oder unantastbar. Im Gegenteil. Denn um ein bekanntes Beuteltier zu zitieren: „Ein Idiot in Uniform ist immer noch ein Idiot.“
Doch neue Polizeigesetze wie in Bayern bzw. die Verschärfung des Widerstandsparagraphen aka Bullenschubsparagraphen gießen eine solche Unantastbarkeit in Beton. So sieht autoritäre Formierung aus.
Begründet werden diese systematische Beschneidung von Grundrechten mit dem Gejammere über die Zunahme der Angriffe auf Polizist_innen. Ein kleiner Blick in die letzten Jahrzehnte zeigt, dass das zumindest qualitativ nicht stimmt. Angriffe auf Polizist_innen wie in den 70er und 80er Jahren – Stichwort Startbahn West – hat es in den letzten Jahren nicht gegeben. Dass die Angriffe vielleicht quantitativ mehr werden und Polizist_innen in manchen Bevölkerungsgruppen nicht besonders beliebt sind, mag vielleicht mit ihrer Art der „offensiven Ansprache“ zusammenhängen.
Alles in allem geht die Strategie der Abschreckung durch Gewalt und Strafen aber allzu oft auf. Die wenigsten trauen sich Cops zu hinterfragen. Es entsteht ein Gefühl der Ohnmacht. Gegenüber der Polizei, aber auch gegenüber einer „Ordnung“, die keine Kritik zulässt.
Im Sommer 2015 wurden am Aachener Markt zehn Menschen ohne weitergehende Begründung ihrer Freiheit beraubt. Darunter auch zufällig vorbeikommende, kritisch nachfragende Passanten. Im Anschluss dann dieses Verfahren hier.
Hier haben Polizist_innen ihren ohnehin zweifelhaften Job schlecht gemacht und zwar von Feststellung des Versammlungsleiters, über die dubiose Konstruktion der Ermittlungsakte, bis hin zur – nunja – schlecht abgesprochenen Aussage vor Gericht.
Was bleibt? Wir werden staatliche Gewalt nicht akzeptieren. Wir werden sie weiter in Frage stellen und uns nicht einschüchtern lassen. Wir machen weiter und vergessen nicht die Opfer dieser Gewalt, ob getötet, inhaftiert oder traumatisiert.
No Justice – No Peace!
Ein ausführlicherer Prozessbericht folgt in Kürze. Aus aktuellem Anlass hier auch nochmal der Spendenaufruf.